4 Ernst erkundet die nähere Umgebung seiner Klause und wird mit den Gefahren des Einsiedlerlebens confrontiert.

Ernst merkt beim Frühstück, dass Ernst Ernst mit dem Müesli, das Ernst mit Rahmquark verfeinert hat, schadet. Aber das Croissant pur beurre, das Ernst zum Andenken an Ernsts Besuch des Grand Palais in Paris isst – Ernst erinnert Ernst, wie Madame Debienne vor der Pâtisserie Fauchon auf der Place de la Madeleine sagte, l’odeur des croissants qui cuisent dans le four est unique –, auf dieses feine Buttergebäck möchte Ernst nicht verzichten. Auch der Brillat Savarin (conditionné sous atmosphère protectrice) schmeckt deliziös. Ernst liebt diesen Frischkäse nicht nur wegen seines milden, leicht säuerlichen Geschmacks, der Ernst an ein leichtes Champignonaroma erinnert (und mit frischen Cranberries besonders schön zur Geltung kommt), sondern weil Ernst weiss, dass er auch als Délice des Gourmets verkauft wird. Ernst sagt: «Ein überaus mundiger Käse!» und genehmigt Ernst noch ein allerletztes Schnippelchen, aber dann ist genug, ja übergenug, denn Ernsts Völlegefühl ist so stark, dass Ernst nur noch mit Mühe atmen kann.

Um die Kilokalorien zu verbrennen, macht Ernst 1 kleinen Spaziergang dem Fluss entlang. Ernst, der die fremden Sprachen liebt, sie aber nur vom Hörensagen kennt, ruft: «Tandaradei! Ernst makes a p’tite promenade down by the riversite.» Nach einer Stunde sieht Ernst 3 Fischerboote, die am gegenüberliegenden Quai vertäut sind. Dann flaniert Ernst im für Ernst so typischen Schlenderschritt zurück zu Ernsts Eremitage. Ernst hat diesen Schritt schon in jungen Jahren eingeübt. Ernsts Vorbild war dabei der legendäre Watt:

Watts Gewohnheit, geradenwegs, zum Beispiel, nach Osten zu gehen, bestand darin, dass er seinen Oberkörper so weit wie möglich nach Norden drehte und gleichzeitg sein rechtes Bein so weit wie möglich nach Süden schleuderte, dann seinen Oberkörper so weit wie möglich nach Süden drehte und gleichzeitig sein linkes Bein so weit wie möglich nach Norden schleuderte.[1]

Nicht dass Ernst auch so gegangen wäre, aber es war doch so, dass die Leute Ernst an Ernsts Schlenderschritt erkannten und sagten: «Da kommt der Ernst.» Wie Ernst Ernst wieder Ernsts Klause nähert, fällt Ernst auf der der Mitternacht zugewandten Seite 1 Kastanienbaum in Ernsts Augen und Ernst entschliesst Ernst, Ernsts neues Domizil die Kastanienklause zu nennen.

Lass Ernst hier in Bergestiefen
vom Quell, der aus dem Felsen tropft,
das Wasser schöpfen –
beim Aufsammeln der Kastanien,
Ernst hört sie fallen da und dort.[2]

Zurück in Ernsts 4 Wänden isst Ernst (für Ernsts Verdauung) 2 Mini-Bergfeigen. Und einige Nüsse.

Laut der New Yorker Ernährungsexpertin Marissa Lippert sollten nicht mehr als drei Stunden zwischen Ernsts Mahlzeiten liegen. Je mehr Routine Ernst in Ernsts Ernährung bringt, desto leichter wird es Ernst fallen, Ernsts Gewicht zu controllieren. Marissa Lippert rät Ernst, immer eine Tüte Nüsse oder Trockenobst in Ernsts Mappe zu haben, damit Ernst unverzüglich auf allfällige Essattacken reagieren kann.[3]

Nach den Nüssen ist Ernsts Hunger naturalmente coupiert und Ernst wird Ernsts Mittagessen mithin lustlos einnehmen. Warum nur lässt Ernst das Mittagessen nicht einfach aus? Weil man so etwas nicht tut? Lieber aus Pflicht essen, als auf den Körper hören? Vor Ernst türmen sich wieder einmal die alten, wohlbekannten Fragen, die Ernst jetzt aber von der Wurzel: radikal angehen will. Noch ist nichts verloren! Vor Ernst liegt mehr als ein ½ Tag, den Ernst ab sofort sinnvoll gestalten wird? kann? – muss!

Aber da fühlt Ernst Ernst plötzlich nicht mehr so well, und nachdem Ernst Ernsts Gesicht in Ernsts Handspiegel betrachtet hat, entschliesst Ernst Ernst, Ernst noch etwas hinzulegen. Ernst sinkt augenblicklich in einen tiefen Vollschlaf oder vielleicht auch nur in einen seichten ½-Schlaf, denn Ernst sieht, wie Ernst den Rest des Müesli aus dem Kühlschrank holt und at cyberspeed aufisst. Ernst schnellt hoch und prescht zum Kühlschrank: Das Müesli ist tatsächlich verschwunden! Sind das die ersten Wahne, mit denen der heilige Antonius im Moder der Grabkammer vor 1600 Jahren gekämpft hat? Versuchungen und Verwirrungen, feuerspeiende Dodos und fiese femmes fatales, die auch Ernst in Ernsts Kastanienklause von nun an heimsuchen werden? Bei diesem dusteren Prosepkt ist Ernst Ernst plötzlich auch nicht mehr sicher, ob Ernst das Müesli im Präsens gegessen hat. Ernst lacht lauthals und grölt gellend: «Ernsts Müesli ist nicht der Weisheit letzter Schluss! Ernst hätte es auch später essen können!» Ernst hört, wie später essen endlos echot. Ernst hasst dieses Echo. Warum nicht jetzt? Adesso, main tenant, é agora ou nunca[4] , now? Ernst ruft: «Nuncanunca naunaunau!» Aber es passiert nichts. Ernsts Essmarotten hören nicht auf Ernsts Kauderwelsch.


[1] Samuel Beckett, Watt, Deutsch von Elmar Tophoven

[2] Hier in der Nähe bei der Wechselstation Sukagawa lebt im Baumschatten einer Riesenkastanie der Einsiedlermönch Rissai, der die Welt von sich abgetan hat. Saigyô, aus: Matsuo Bashô, Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland, XV, Freund Tôkyû aus Sukagawa

[3] Glamour – Mode, Beauty, Stars, Liebe, Juli 2013

[4] Duduca & Dalvan, Agora ou nunca, vem me abraçar, https://www.youtube.com/watch?v=fbVYwe-d_B8