8 Wie sich Ernst fit hält und von Fabelwesen besucht wird, von denen er bis zuletzt nicht weiss, ob sie vielleicht doch nicht wirklich sind.

Ernst fährt mit Ernsts Wilier-Rennrad in die Berge. Ernsts Condition ist schlecht. Kein Wunder mit 10 Kilogramm Übergewicht und nur rumsitzen. Während Ernst Ernst keuchend den Berg hochwuchtet, sieht Ernst am Strassenrand ein Häuschen, das so klein ist, dass die Türflügel vom Boden bis zum Dach reichen. Ernst klickt Ernst aus den Rennpedalen und steigt vom Rad, um mit Ernsts Handy eine Aufnahme zu machen. Ernst nennt das Häuschen «Ernsts Tresörchen».

Am Nachmittag schnürt Ernst Ernsts Gürtel enger und isst nur tunesische Datteln und 2, 3 Feigen. Und noch quickliquick 1 Ragusa. Dieser Imbiss ist, wie Ernst meint, kaum der Rede wert und doch hat Ernst das Gefühl, im Handumdrehen bleischwer geworden zu sein. Ernst sagt: «Ernst ist ohne Wenn und Aber pflaumenplump.»

Um 19 Uhr hört Ernst auf der Turmuhr des Monasteriums 7 Schläge. Ernst überlegt, ob Ernst im Clostershop noch etwas Kleines kaufen soll. Ernst zieht kurz entschlossen Ernsts Mantel an, aber als Ernst die Tür öffnet, steht ein Rudel Wölfe vor Ernst.

«Huhuhunger! Hunger! Hunger! Huhu!». Sie rollen ihre gelben Augen. Sie kratzen mit ihren scharfen Krallen. «Huhuhunger!»[1]

Ernst sagt, Hunger ist ein mächtiges Wort[2] und zeigt den Wölfen das Sachet einer Suppe. Der fünfte Wolf ruft erwartungsvoll:

Wieder eine neue Knorrsuppe! Anolini in brodo![3]

Und der kleinste Wolf: «Unser Knorrli!»

Ernst wärmt also die neue Knorrsuppe und weil Ernst mit den Wölfen Mitleid hat, bereitet Ernst auch noch ein Kräuteromelett mit Schinken zu. (Ernst folgt dabei dem Rezept von Bartolomeo Scappis berühmtem Cvoco secreto di Papa Pio. V. aus dem Jahr 1570). Um die Wartezeit zu überbrücken, verteilt Ernst «Es ist nicht alles rund was glänzt» – ein Poetry-Slam-Dramolett, bei dem jeder Wolf gemäss seinen individuellen Fähigkeiten mitrappen kann.

Ernst: Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Erster Wolf: Liest Ernst den Erlkönig von John Wolfgang von Goeth?

Ernst: Keine Furcht! Ernst ist ein Lieber.
Dritter Wolf: Im Ernst?

Ernst: Im vollsten Ernst!
Erster, fünfter und siebter Wolf: Ey, cool man!

Ernst: Any particulars?
Grösster Wolf: A bird in the claw is worth two in the bush.

Ernst: It’s sink or swim!
Vierter Wolf: Wolf friss oder stirb?

Ernst: Mighty on Muesday.
Fünfter Wolf: The Earlyking must mean on Tuesday.

Ernst: That’s equinoctial.
Zweiter Wolf: I thought as much.

Ernst: Contrariwise![4]
Grösster Wolf: When the hurlyburly’s done.

Ernst: When the battle’s lost and won!
Sechster Wolf: Nohow![5]

Ernst: That will be ere the set of sun.[6]
Kleinster Wolf: That’s when we make things hum ’n’ hum!

Ernst: Ernst comes to answer thy best pleasure –
Grösster Wolf: … be ’t to fly, to swim, to dive into the fire![7]

Ernst: Not in Widow Dido’s Shire!
Neunter Wolf: Dido? Said Ernst Widow Dido?

Ernst: And let forsaken Dido die.[8]
Alle Wölfe (unisono): Xiiiiii! das is’ ja knorke! Bingo!

Jetzt, da das Poetry-Slam-Dramolett im Raum verhallt ist und auch das Omelett Farb’ und Form angenommen hat, ruft Ernst: «A l’attaque!»

Die Wölfe schlürfen und schmatzen und rülpsen und lassen vor Wonne ihre langen roten Zungen weit heraushängen. Sie lassen nichts übrig und ihre Bäuche sind rund und prall.[9]

Zum Dessert offeriert Ernst jedem Wolf 1 Yogourt nature à 150g. Die Wölfe betrachten die Bilder auf der Innenseite der Biomilketikette, wo Kühe grasen, die noch Hörner haben und rufen: «Ah, c’est le bon goût de qualité!» Dann schlürfen sie den Becher in einem Zug leer und nach einer kleinen Pause singen sie im Kanon:

Für Spys und Trank, fürs täglich Lamm, wir danken Dir, Ogoot!
Der Du uns liebe Wölfe speisest, segne uns, Ogoot!
Wir danken Dir, wir danken Dir, wir danken Dir, Ogoot!

Ernst fragt: «Another round?» Alle schauen zum ältesten Wolf. Aber dieser winkt ab und sagt: «Thank you folks, that’s enough for tonight!» Ernst ruft: «And what about tomorrow?» Die Wölfe grölen: «Ave Ernst! Alea iacta est![10] We’re up, we are up for it!» Dann klopfen sie Ernst der Reihe nach auf Ernsts Schulter und rennen zur Tür. Bevor sie Ernst verlassen, flüstern sie unisono: «In dieser kalten Luft liegt so mancher Funke aus der Zukunft. Der Boden ist gefroren. Ernst passe gut auf Ernst auf!»

Wie Ernst wieder allein ist, fällt Ernst Ernsts Herz in Ernsts Hose. Das ist nun schon das zweite Mal, dass Ernst von 1 Wahn heimgesucht worden ist. Und um sicher zu gehen, dass dem so ist, kneift Ernst Ernst in Ernsts Arm. Senz’ombra di dubbio: Ernst ist wach.

Doch halt! Als wenn Ernst Ernst nicht erinnerte, zu anderer Zeit auch von ähnlichen Vorstellungen im Traum genarrt worden zu sein: Indem Ernst das nun aufmerksam durchdenkt, sieht Ernst klar, dass das Wachen vom Traum niemals durch sichere Anzeichen unterschieden werden kann. Wohlan denn: Möge Ernst träumen![11]


[1] Kristina Andres, Suppe, satt, es war einmal

[2] ebenda

[3] Skipper V., Blatt für alle, November 1963, Seite 3

[4] Lewis Carroll, Alice’s Adventures Through the Looking-glass, Chapter 4, Tweedledum and Tweedledee

[5] ebenda

[6] William Shakespeare, Macbeth, I/1:

1st witch When shall we three meet again? / In thunder, lightning, or in rain?

2nd witch When the hurlyburly’s done, / When the battle’s lost and won.

3rd witch That will be ere the set of sun.

[7] William Shakespeare, The Tempest, I/2:

Ariel I come / To answer thy best pleasure, be ’t to fly, / To swim, to dive into the fire, to ride / On the curled clouds.

[8] Henry Purcell, Dido and Aeneas, Libretto: Nahum Tate

[9] Kristina Andres, Suppe, satt, es war einmal

[10] Sueton, Divus Iulius, 32f. ­– Am 10. Januar 49 v.u.Z. erschien Cäsar mit seiner Armee am Rubikon. Zunächst soll Caesar gesagt haben: «Noch kann Ernst zurück; wenn Ernst aber diese kleine Brücke überschreitet, wird alles mit Waffen auszutragen sein.» Während Cäsar noch unschlüssig verharrte, erschien eine riesige Gestalt, die einem seiner Trompeter das Instrument entriss. Sie blies Alarm und durchschritt den Fluss. Daraufhin sagte Cäsar: «Dorthin gehe Ernst, wohin der Götter Zeichen und der Feinde Unrecht ruft. Iacta alea est. Geworfen ist der Würfel.» (Übers. Ernst & al.) Damit machen die Wölfe deutlich, dass auch Ernsts Entschluss, in der Kastanienklause zur Besinnung zu kommen, unwiderrufliche Folgen haben wird, deren Ausgang für Ernst jedoch noch nicht absehbar sind.

[11] Quasi scilicet non recorder a similibus etiam cogitationibus me alias in somnis fuisse delusum: quae dum cogito attentius, tam plane video numquam certis indiciis vigiliam a somno posse distingui, ut obstupescam, et fere hic ipse stupor mihi opinionem somni confirmet. Age ergo somniemus. René Descartes, Meditationes de prima philosophia, Meditatio I, De iis quae in dubium revocari possunt – Woran man zweifeln kann, §§ 5, 6. Übersetzung Ernst & al.