65 Wie Ernst eine Email beantwortet.

 

Ernst steht früh auf, macht Ernst ein Müesli, isst dazu 2 Bergfeigen und überlegt Ernst, ob Ernst Ernst einen Orangensaft machen soll. Justgenauda hört Ernst, wie eine Email in Ernsts Briefcase geworfen wird. Ernst sagt: «So früh? Wer das wohl sein mag?»

Lieber Ernst
63 Folgen deines Ringens und Scheiterns habe ich nun gelesen. Warum ich mir das angetan habe, weiss ich nicht. Vielleicht habe ich wider besseres Wissen immer wieder auf einen Durchbruch gehofft. Aber jetzt ist Schluss: Dein Gejammer geht mir definitiv auf den Sack. Entweder, Variante A, du reisst dich zusammen und hältst dich diszipliniert an einen Speisenplan** oder, Variante B, du akzeptierst dein diesbezügliches Unvermögen und erfreust dich hemmungslos am Essen und Trinken oder, 3. Variante, die schlechteste, du zelebrierst weiterhin deine Zwickmühlensituation. Wie gesagt: Ohne mich!
Gruss
RS

** Dazu lege ich dir ein Muster bei. Es zeigt beispielhaft, wie ich während 14 Monaten 6kg bis auf mein Idealgewicht (das von vor 50 Jahren an der Rekrutenaushebung!) abspeckte. Melde dich, wenn ich dir meine Excel-Vorlage inkl. Erläuterungen zustellen soll.

 

 

Ernst liest ‹1-2 Stck Feigen, 3-5 Stck Zwetschgen, Orangen-Zitr’saft› und ‹Zitronens/Milch› – warum nicht auch ‹Fr’stck›? Doch dann gleiten Ernsts Augen wieder hinauf zum Haupttext. Ernst stellt fest, dass es Ernst bis jetzt gleichgültig gewesen ist, ob Ernst in den Emails geduzt wurde oder nicht. Doch jetzt regt sich in Ernst 1 Widerstand. Mit anderen Worten: Die Email von RS irritiert Ernst.

Um Ernst einen besseren Durchblick zu verschaffen, macht Ernst Ernst einen Anji Baicha. Nach dem zweiten Schluck ist Ernst klar: Ernst hat Ernsts Wellness Journal in der Einleitung als interaktives Tagebuch deklariert:

Ernsts Wunsch ist ein interaktives Esstagebuch, in welchem Ernst die Beiträge einfügen wird, um so nicht nur Ernsts Leben als Einsiedler, sondern auch dasjenige der Aussenstehenden zu bereichern.[1]

Und ist die Email von RS nicht auch eine Bereicherung? Oder sogar das Salz in der Suppe? Hier erinnert Ernst Ernst an das Kopfkissenbuch, das Sei Shonagon vor ziemlich genau 1000 Jahren geschrieben hat.

Es ist für Ernst interessant, zu denken, dass die für Ernst interessanten Beobachtungen für andere nicht interessant sein könnten.

In diesem Sinn dankt Ernst RS und hofft, in Ernsts Briefcase weitere (auch ungehobelte und bissige) Emails zu finden.

Post Scriptum
Ernst hat den Satz aus dem Kopfkissenbuch auswendig zitiert und geht in die Klosterbibliothek, um ihn im Context zu lesen.

Garten an einem Herbstmorgen
Der Regen, der eine ganze Septembernacht hindurch goss, hat aufgehört, und strahlende Sonne glitzert im Garten. Über die Chrysanthemenblätter sind unzählige Tautropfen gestreut. An den Hecken und Gartentörchen hängen noch zerrissene Spinngewebe, und an ihren Fäden sind silberne Perlen aufgereiht.
Es wird Tag und die sich verbeugenden Süsskleezweige heben ihre Köpfe einer nach dem anderen erleichtert auf, weil der Tau auf den Blättern schon getrocknet oder gefallen ist.
Es ist für mich interessant, zu denken, dass diese für mich interessanten Beobachtungen für andere nicht interessant sein könnten.[2]


[1] Episode 0

[2] Das Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shonagon, Garten an einem Herbstmorgen, aus dem Japanischen übertragen von Mamoru Watanabé