48 Wie Ernst den Entschluss fasst, das Wellness Journal fortzusetzen.

Ernst freut Ernst, dass auf Ernsts Frage, ob Ernst Ernsts Retraite abbrechen soll, verschiedene Emails eingetroffen sind.

Guter Ernst

Soll das ein Witz sein? ein Fishing for compliments oder gar eine Umfrage, ob Ernst noch ankommt? Aber haben wir denn Ernst nicht immer wieder gelobt? Da sind die verqueren Filme oder jene Passage, wo Ernst der Frau Sonne beim Duschen zusieht oder die Episode (die mein Favorit ist), wo Ernst die Prozession der Fratres mit Bernada Sobeirons beschreibt und Dante zitiert ­– und auf all das sollen wir nun von einem Tag auf den anderen verzichten? nur weil Ernst wieder einmal eine Krise hat und das Kind mit dem Bad ausschütten will?

Aber weiss Ernst eigentlich, woran er schreibt? Weiss Ernst, dass es in seinem Wellness Journal schon lange nicht mehr ums Essen geht und auch nicht ums Masshalten, sondern um das ebenso anspruchsvolle Thema des Scheiterns? Als Kenner von Becketts Werk – warum hat Ernst da nicht den berühmten Satz aus «Worstword Ho» zitiert?

Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.

Die Betonung liegt auf ‹again› und ‹better›, denn einmal scheitern können wir alle, aber immer wieder scheitern und immer besser scheitern, das ist Kunst, und dazu braucht es ein Genie wie Beckett oder einen Eremiten vom Format eines Ernst.

Ich schlage deshalb vor, dass Ernst Episoden 1 bis 48 als Staffel I abschliesst und mit Episode 49 eine neue Staffel beginnt, bei der das Scheitern in all seinen faszinierenden Facetten inszeniert, beschrieben, besungen, verfilmt und verdichtet wird, bis Ernst untergeht? Nein! bis die Flut steigt und das Wasser in Schwaden vom Himmel fällt und Ernst Land unter anmeldet und aufs Festland ausweichen muss, um es danach erneut zu versuchen.

 

 

Ihr
Brian de Selby

 

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Lieber Ernst

Deine Geschichten liegen mir auf einmal so schwer im Magen. Ich glaube, dass ich hier abbrechen muss, um mich andern Dingen zuzuwenden. Bei dir wird mir so eng und bang! Der Text hat so stark gewirkt, dass ich Atemnot bekam. Ich will hinaus an die frische Luft, dorthin wo die Sonne scheint und mich warm umfängt. Dorthin wo ich Stimmen und Vogelgezwitscher höre. Dorthin wo ich unbeschwert eine Pizza mit viel Käse beladen essen kann. Ich schreibe dir so, wie ich fühle und das heisst, dass die anfängliche Faszination nun einer gewissen Ratlosigkeit gewichen ist. Ich weiss allerdings nicht, wie lange ich es aushalten werde ohne zu lesen, aber momentan muss ich es.

Liebe Grüsse
Arktis

 

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Lieber Ernst

Ernst hat uns so reich beschenkt, das Tischlein immer eingedeckt mit Schmankerl, da will Ernst doch nicht ernstlich „abbrechen“ und uns allein allen Ernstes in der Februarkälte zurücklassen, das würde auch Frater Felix nicht wollen, wie sollte der Klostershop laufen? (Ein Löffelchen für Frater Felix …) Wer hätte noch Interesse am Leben der Fratres? Wer würde die 1000jährige Eibe erwandern? Wer aus der ostasiatischen Literatur und anderen Preziosen zitieren? Ernst muß an seine gesamtfreundschaftliche/gesellschaftliche Verantwortung denken und nicht nur an den Zeiger auf der Wage. Ernst hat die Suppe noch nicht ausgelöffelt! Sicherlich täte Ernst ein Urlaub gut, oder eine REHA, eine kleine Unterbrechung seines Retraites, dann könnte der Hefeteig gehen und Ernst hätte eine Überraschung, wenn er zurückkehrt Ja, es ist Zeit, daß Ernst Urlaub vom Ernst nimmt und ernsthaft mit Ernst eine Pause des ernsten Klausendasein plant. Mit Bangen und Betthupferl zum Trost, einer doppelten und dreifachen „Notration“, wie Ernst sagen würde, grüßt herzlich

Nordlicht

PS
Ich schicke Dir hier noch ein Bild, das ich gemalt habe und hoffe, daß die “Winterlandschaft“ Ernst etwas aufmuntert.

 

 

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Lieber Ernst.

Ich bin zwar im Skiwochenende – aber ich muss dir schreiben. Auch ich sitze am Küchentisch, hier auf der Riederalp, und brüte vor mich hin, auch bei mir läuft vieles nicht immer so wie ich es möchte/anstrebe – gerne hätte. Ernst du darfst nicht aufgeben, du musst weitermachen – den Scherbenhaufen aufwischen – und denk daran: Nach em Räge schynt d’Sunne! Mach unbedingt weiter! Ich muss jetzt weg, denn wir sind bei unseren Nachbarn zum Nachtessen eingeladen.

Bea

PS: die Nachricht vom Abt in Gedichtform finde ich echt stark.
Von meinem iPhone gesendet

Lieber Ernst.

Nachtrag: Als ich meinem Nachbarn von dir erzählte und ihm sagte, dass du aufgeben möchtest, runzelte er die Stirn und meinte, das sei doch gar nicht möglich, denn – aber genau da hörten wir das Piep-Piep des Backofens: der Zwiebelkuchen war fertig und wir haben uns dem Essen gewidmet und Ernst vergessen. Doch jetzt hat mir mein Nachbar eine Mail geschickt mit der Bitte, sie an dich weiterzuleiten.

Liebe Bea

Die Geschichte mit diesem Ernst will mir nicht mehr aus dem Kopf. Um das Problem zu lösen, habe ich Euer Gastgeschenk geöffnet und eine Perle d’amandes gegessen. Dann (bei der zweiten oder bei der dritten?) kommt mir plötzlich Daniel Defoes «The Life & Adventures of Robinson Crusoe» in den Sinn. Robinson erleidet bekanntlich Schiffbruch, aber er ist unversehrt und hat genügend Nahrung (im Schiffswrack findet er sogar Tinte und Papier), kurz, er hat alles, was er zum Überleben braucht. Aber er kann nicht weg! Und was tut er? Er beginnt ein Journal, wo er Tag für Tag die wichtigsten Ereignisse notiert: «And now it was when I began to keep a journal of every day’s employment.» Dieses Journal gibt ihm Halt und bewahrt ihn vor dem Dahinvegetieren. Und genau so ist es doch auch bei Ernst, nicht wahr? Ernst hat Schiffbruch erlitten, er sitzt allein in seiner Klause, es gibt kein Zurück und kein Vorwärts, aber er hat sein Wellness Journal, in dem er sich immer wieder Rechenschaft ablegt.

«Soll Ernst Ernsts Retraite unverzüglich abbrechen?» Die Antwort lautet: Solange Ernst auf seiner Insel ist (isst), steht ihm die Option eines Abbruchs gar nicht zur Verfügung. Was ihm bleibt, ist nur dies: weiterschreiben, abwarten und Tee trinken und wachbleiben, um den Zeitpunkt nicht zu verpassen, wenn sich etwas ändern sollte. Das kann allerdings lange dauern. Robinson Crusoe musste auf der Insel 28 Jahre warten: «And thus I left the island, the 19th of December 1686, after I had been upon it eight and twenty years, two months, and nineteen days.»

Es grüsst Dich herzlich und wenn Du Ernst eine Kopie schicken willst – doch, ja, das wäre vielleicht eine gute Idee: Bitte leite meine Mail an ihn weiter, vielen Dank!

Geoffrey

 

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halo ernst

ich wollte mich schon lange bei dir melden, aber ich habe mich nicht mehr hervorgetraut, weil bei mir nachts der kühlschrank wieder aufgegangen ist. beim erstenmal dachte ich, dass das ein ausrutscher ist und auch beim zweitenmal war ich mir sicher, alles wieder in den griff zu bekommen, aber jetzt ist es fast so schlimm wie früher und die glaubwürdigkeit ist weg und ich schäme mich vor mir und den andern! ich nehme an, dass es bei dir ähnlich ist und du deshalb die community fragst, ob du aufgeben sollst. auf den ersten blick sieht das so aus als ob du das absichtlich machst, um wiedermal eine aufmunterung zu bekommen, doch in tat und wahrheit ist es doch eher eine entschuldigung für das geleiere. denn all die rückschläge, das macht einem auch fertig. da möchte man den bettel ins korn werfen oder man sprayt auf die erstbeste wand fuck you all. aber weisst du noch was du in episode 31 geschrieben hast? das habe ich mir nämlich damals auf einen zettel notiert: when i wake up in the morning, i feel like any other insecure 24-year-old girl. then i say, bitch, you’re lady gaga, you get up and walk the walk today! tschüss & gruss

me_at_night

Ernst setzt Ernst mit einer Tasse Tee auf Ernsts Balkon und schaut über den Fluss, der, wie es Ernst scheint, heute besonders gleichgültig dahinzieht. Und nun? Ernst braucht nicht lange zu überlegen: Ernst ist noch nicht an Ernsts Ende. Ernst will es wieder versuchen, und sei es auch nur, um wieder zu scheitern – besser zu scheitern – und wie Robinson Crusoe wohl oder übel weiter zu schreiben.