38 Ernst versinkt in Selbstmitleid.

Ernst leidet unter Atemnot; Ernst verdreht Ernsts Augen; Ernsts Wohlfühlfaktor nähert sich der Nulllinie. Um Ernst zu beruhigen, trinkt Ernst den Assamtee nicht weiter. Ist der Tee zu stark? oder ist es Ernsts Sorge um Ernsts Geld, Ernsts Arbeit und Ernsts Gesundheit, die Ernst zusetzen? oder Ernsts Widerwille, glücklich zu sein?

Das Gefühl des Glücks macht Ernst nur dumm und unproduktiv. Ernst weiss nicht viel damit anzufangen.[1]

Da es schönes Wetter ist, schlägt Madame Debienne vor, einen Spaziergang zu machen. Ernst beklagt Ernst, dass dadurch Ernsts Tagesablauf durcheinanderkomme. Doch um ehrlich zu sein: Ernst kennt einen geregelten Tagesablauf nur par ouï-dire und Ernst ist jede Störung willkommen, denn so kann Ernst noch schnell Ernsts Büchse mit dem fidelen Schneemann öffnen, um Ernst einige Mandeln zu genehmigen. (Schliesslich möchte Ernst nicht, dass Ernst die Promenade wegen eines Hungerasts abbrechen muss.)

Madame Debienne erinnert Ernst an jene Zeit, als Ernst bei einer Ernährungsberaterin Rat gesucht hatte. Hat es Ernst etwas gebracht? Nein, ausser dass Ernst jetzt missmutig dem Fluss entlang trottet und wie ein Bär, der während des Winterschlafs das Fett aus seinen Tatzen lutscht, an Ernsts Hungerpfoten saugt. Ernst denkt an all die wilden Tiere, die im Gehege hin und her pendeln, die linke Pfote hochschwingen und abdrehen, dann die rechte Pfote. Wird Ernst Ernsts ausgetretene Pfade je verlassen können? Eines steht fest:

Ernst lässt Ernst treiben und greift bald nach diesem, bald nach jenem. Erstrebtes gibt Ernst auf, Aufgegebenes erstrebt Ernst von Neuem. Hin und her gerissen zwischen Ernsts Gier und Ernsts Reue vollzieht sich Ernsts Wechsel.[2]

Zurück in Ernsts Kastanienklause kommt neues Ungemach, denn Ernst hat wieder einmal nicht aufgeräumt. Ernst hat für Ernsts Retraite nur wenige Sachen mitgenommen, aber auch das ist offenbar noch zu viel, um Ordnung zu halten. Und wann hat Ernst das letzte Mal geputzt? Da erkundigt sich Madame Debienne, was Ernst für das Nachtessen vorgesehen habe. Ernst schreit völlig ausser Ernst: «Putzen ist ein Cauchemar! Putzen und Ordnung halten, ist Marter, Pein und Qual! Bei der heiligen Spülbürste! da sieht Ernst den gleissenden Stern der Apokalypse!» Madame Debienne zieht eine Augenbraue hoch. Putzen? Hat Madame Debienne etwas von Putzen gesagt?

Da sagt Ernst, dass Ernst Ernsts Hang zur Unordnung mit einem Höllenzwang gebannt habe und dazu Ernsts Schwirrholz kreisen liess. Um Ernst nicht zu verletzen, sagt Madame Debienne nicht, dass ihr das alles ziemlich spanisch vorkomme. Sie sagt auch nicht, dass man in Spanien sagt, das kommt mir chinesisch vor, und in China, das ist die Sprache vom Mars und auf dem Mars, das kommt mir ziemlich irdisch vor, sondern sie bittet Ernst, Ernsts Spruch vorzulesen. Und schon fühlt Ernst Ernst in Ernsts Element und intoniert in monoton-kreischendem Tonfall.

Der perfecte Putzparcours
Vom Bad zur Waag, von der Waag zum Balkon, vom Balkon zum Futon, vom Futon zur Küch, von der Küch zum Bad, vom Bad zum Balkon, vom Balkon zur Küch, von der Küch zur Waag, von der Waag zum Futon, vom Futon zum Bad, vom Bad zum Futon, vom Futon zur Waag, von der Waag zur Küch, von der Küch zum Balkon, vom Balkon zum Bad, vom Bad zur Küch, von der Küch zum Futon, vom Futon zum Balkon, vom Balkon zur Waag, von der Waag zum Bad – putzen und Ordnung halten, bis man mit Ernst rundum zufrieden ist.

Madame Debienne schaut ratlos vor sich hin und tröstet Ernst mit dem Hinweis, dass alles nur ½ so schlimm sei. Aber Ernst kann Ernst nicht erholen und wirft Ernst theatralisch auf Ernsts Futon, wo Ernst wie ein gefoulter Fussballer liegen bleibt. Als Ernst keinen Pfiff aus der Trillerpfeife des Schiedsrichters hört, hebt Ernst Ernsts Kopf und bemerkt, dass Madame Debienne weggegangen ist. Da springt Ernst auf und wirft Ernst erneut auf Ernsts Futon und springt wieder auf und wirft Ernst ein drittes Mal voller Ingrimm und Selbstmitleid auf Ernsts Futon und sinkt – Gott sei Dank – bald in 1 tiefen Schlaf.


[1] Unica Zürn, Der Mann im Jasmin

[2] Fluctuamur aliudque ex alio comprendimus, petita relinquimus, relicta repetimus, alternae inter cupiditatem nostram et paenitentiam uices sunt. Lucius Annaeus Seneca, De otio – Über die Musse, Exordium I,1, übersetzt von Ernst und Rainer Lohmann