37 Wie Ernst in der Biscuiterie de Montmartre einen Strauss Papageientulpen kauft.

Schon in drei Monaten blühen die Tulpen wieder.[1]

Ernst erinnert Ernst, wie die Leute am ersten Abend am gegenüberliegenden Ufer ein Fest mit Feuerwerk feierten. Ernst ging damals nicht auf den Balkon, sondern stellte Ernst die Raketen mit geschlossenen Augen vor.[2] Justgenauda hört Ernst 1 dumpfen Knall und sieht (da Ernst nun tatsächlich auf dem Balkon sitzt), dass die Raketen nicht zum Himmel steigen, sondern hinter einem Gazevorhang aus Eis aufleuchten. Ernst geht nah heran und wird sofort hineingezogen. Und schon steht Ernst inmitten eines fosforeszierenden Gestäubs, das Ernsts Sinne angenehm betäubt.

Wie Ernst noch weiter ins Palais hineinschlendert, entdeckt Ernst einen Blumenladen mit dem Namen Biscuiterie de Montmartre. Da erinnert Ernst Ernst, dass Ernst Madame Debienne Blumen schenken wollte und betritt das Geschäft. Die Verkäuferin zeigt Ernst verschiedene Sträusse und sagt: «Notre Maison pose un regard amoureux sur l’héritage de la biscuiterie fine française. Profondément attachés à la recherche d’élégance gustative, nous nourrissons notre métier d’exigences rares.» Dann zeigt sie Ernst in einer rauchenden Kühltruhe verschiedene Macarons fins und nennt jede beim Namen:

Die rubinrote Double Click – R, die lachsrosafarbene Macaron de rocaille Lenna M, das orange-purpurne Delirium, die huanghegelbe Piratin Ahoy (une nouvauté, wie die Verkäuferin betont), die jettschwarze Noir d’Ébène, eine winternächtliche Ebony Angel mit fabelhaft tiefseeischen Schatten, die abricot-ambre Millenium Sunrise – R, die papayablonde Taglilie (die mit ihren dezenten Einsprengseln aus Kupfer noch intensiver wirkt und mit einem himbeerfarbenen Baccio in den Spitzen vollendet wird), die mattveilchenblaue Gentle Rain, die reinweisse Lark Ascending und die ebenso weisse Jimmy G, die unerträumbar honigfarbene, im Innern erotischrotglühende Décadence, die crèmefarbene Crème Chantilly, die electro-pfirschfarbene Lorenzaccio de Medicis qui a gagné le Grand Prix d’Honneur de franciris® 2015 (Ernst vergewissert Ernst, ob Ernst recht gehört hat, die Verkäuferin nickt und sagt: ‹Monsieur a bien compris: die Lorenzaccio de Medicis ist pfirschfarben›), dann macht sie Ernst mit der vulkangesteinschwarzen Black is Black bekannt und mit der verwaschen-gletscherblauen, fast schon grünspangrünen Aqua Fresca (Collection Édition Limitée) und zeigt Ernst die an den Rändern zärtlich hellblaue Petticoat Shuffle und die mambaschwarze Dracula’s Kiss (die Verkäuferin insistert im Flüsterton: ‹mit ihrer purpurnen Glut im teerdurchsprenkelten Nebeldunst›), die abricot-mauve Parisian Dawn, die nachtschattenspendende Drama Queen, die ekrüfarbene Sunrise Elegy (une nouveauté), die ½ hohe, poppaearote Dara-Louise, die epheugrün und silberweiss schillernde Low Ho Silver, die rosacupferne Dance the Night Away, die bleu vif Vi Luihn (aus der Familie der sibirischen Schwertlilien), die mittelhohe, kastanienbraune Oklahoma-Banditin und die holzkohlenfarbene Shenangian. Hier hält die Verkäuferin inne und sagt: «Un seul regard et vous êtes captivé par leurs couleurs harmonieuses, la palette d’un peintre parisien dirait-on.»

Ernst ist überwältigt und ruft assai agitato: «Quel embarras de richesse!» Die Verkäuferin erkundigt sich, ob es für eine Herzensdame sei und fragt sub rosa: «Est-ce pour une dulcinée?» Da bemerkt Ernst hinter einem Bougainvilleastrauch 1 Strauss Papageientulpen. Die Verkäuferin, die Ernsts Blick gefolgt ist, sagt: «Les tulipes perroquet sont sauvages et excentriques» und fügt in perfektem Bühnenhochdeutsch an: «Mit den gewellten, geschlitzten und gefransten Blütenblättern sind sie ein unwiderstehlicher Blickfang. Wenn ich solche Tulpen bekomme, je suis ebaubée – wie sagt man?» Ernst fragt: «Hin und weg?» Die Verkäuferin nickt und sagt: «Die voluptuöse Blütenform der Papageientulpen entfaltet sich mit unseren Macarons in der Vase noch weiter. Das war schon immer so, depuis la nuit des temps.» Und da ihr scheint, dass Ernst aus einem intellektuellen Milieu stammt, fügt sie an: «Im 17. Jahrhundert wird die Tulipe perroquet in der Kulturgeschichte erwähnt und taucht auf vielen Blumenstilleben der damaligen Zeit auf.» Ernst ruft con brio: «Sauvage et excentrique!» Und die Verkäuferin ruft rubato assai: «Laissez-vous surprendre par les étonnantes déclinaisons chromatiques qui créent des mosaïques allant du blanc, au rouge grenat en passant par le rose et conjugent l’orangé au brun après s’être éclairées de jaune pur: Fraise, Rhubarbe, Mirabelle, Passion chocolat, Linzer, Citron, Myrtille, Pistache, Pralin, Ananas, Vanille, Noix de coco, Canelle de framboise, Orange sanguine!» Das ist genau das, was Ernst sucht! Und so kommt es, dass Ernst 2 Pfund Macarons fins de qualité kauft.

Noch sieht Ernst, wie die Verkäuferin die farbigen Gourmandisen einpackt – elle les arrange soigneusement dans une boîte aux décors exclusifs –, Ernst hört auch noch, wie sie ruft: «Un ruban noué d’une main experte et voilà nos délicatesses prêtes à voyager avec vous, cher Monsieur Ernst!» Doch dann verblasst die Szene und Ernst sitzt wieder auf Ernsts Balkon und schaut auf den Fluss, der unermüdlich dahinzieht. Ernst nimmt einen Schluck Yun Wu Superior, öffnet Ernsts Wellness Journal und schreibt Ernsts curioses Abenteuer detailgetreu auf.


[1] Skipper V, Schweizer Jugend, 1963, S. 1

[2] Episode 1