23 Wie Ernst ein Schwellenmuseum eröffnet und eine bemerkenswerte Email bekommt.

Ernst geht zum Klosterarzt Frater Guillaume. Ernst hat zu wenig Sauerstoff. Bei abrupten Bewegungswechseln wirkt sich das katastrophal aus. Als ob mit einem Kippschalter Ernsts Kraftzufuhr abgeschaltet würde. Ernst denkt dabei an Ernsts Schokoladekonsum und stellt Ernst vor, wie sich eine Kreislaufstörung herausbildet, bei der bekanntlich die Blutzirkulation in den Capillaren vermindert ist. Ernsts Herz wäre so nicht mehr in der Lage, ausreichend Blut in die Peripherie zu pumpen, was in letzter Konsequenz zu einem Schokoschock führen könnte. Wie Ernst dem Klosterarzt Ernsts Angst schildert, kann sich dieser ein Lächeln nicht verkneifen und verschreibt einen Kräutertee. Ernst fragt: «Und sonst?» Frater Guillaume sagt: «Mir scheint, Ernst weiss ganz genau, was Ernst ändern muss, nicht wahr?»

Um Ernst von Ernsts Trübsal abzulenken, eröffnet Ernst ein Museum, wo Ernst Dinge ausstellen will, die Ernst auf Ernsts Spaziergängen in Ernsts Augen springen. Da der Platz in Ernsts Kastanienklause beschränkt ist, placiert sie Ernst auf der Türschwelle und nennt es Ernsts Schwellenmuseum. Die ersten Exponate sind drei ziegelrote Steinchen (aus der Bibliothek von König Aššurbanipal), fünf lavafarbene Splitter, eine Türkisperle, ein blassgelbes Bruchstück (das fraglos von einem Meteoriteneinschlag stammt) und sechs weitere Fragmente, die Ernst noch nicht verifizieren konnte. Ernst betrachtet das Arrangement und schwebt sofort on cloud 9.

 

 

So wie Ernst Ernst über Ernsts Schwellenmuseum freut, so freut sich auch Ernsts Seele; sie wird verlockt, in Ernsts Nähe zu bleiben und hilft aus Dankbarkeit, Unheil fernzuhalten und den Erfolg von Ernsts Unternehmungen zu sichern. Ohne Ernsts Schwellenmuseum hätte Ernsts Seele keine Spielzeuge; sie langweilte sich und das Leben käme ihr bald einmal eintönig vor, und damit verlöre sie auch die Lust an Ernst und würde zur Siedlung der Toten ziehen. Dann müsste Ernst sterben.[1]

Während Ernst noch mit Ernsts Schwellenmuseum beschäftigt ist, wird eine Email unter der Tür durchgeschoben. Ernst reisst die Tür auf, aber es ist niemand da. Ernst zögert, doch dann überwiegt die Neugier. Ernst bückt Ernst, beisst ein Loch ins Kuvert und schnippelt mit Ernsts Zeigefinger den Umschlag auf.

Werter Herr Ernst

Erlauben Sie mir, Ihnen für Ihr Wellnessjournal zu gratulieren! Es ist witzig, intelligent, versponnen, verschroben und anspielungsreich. Die hochgelehrten Zitate gemischt mit den Melodien aus der Schlagerwelt – das sind (wie Herr Ernst wohl sagen würde) echte Truvajen. Nun ist es jedoch so, dass ich als Deutschlehrer an einer ärgerlichen déformation professionnelle leide. Ich sehe nicht nur jeden Fehler, sondern ich kann nicht mehr schlafen, bis ich ihn rot sehe. So schreibt Herr Ernst in Episode 20: … und Abend für Abend schwört Ernst high and holy, Morgen Ernst zu machen. Sie können sich nicht vorstellen, wie es mir peinlich ist, aber Morgen ist hier ein Adverb und wird folglich klein geschrieben.

In diesem Zusammenhang möchte ich Herrn Ernst an die Vermischten Bemerkungen von Ludwig Wittgenstein erinnern, wo der Philosoph am 10. Februar 1948 notiert hat: «Schlage Geld aus jedem Fehler.» Wie also, wenn Herr Ernst das Wellness Journal nur noch mit Kleinbuchstaben schriebe, um daraus Gewinn zu schlagen? Bitte verstehen Sie mich recht! Es ist nicht so, dass ich Ihre orthographische Kenntnis anzweifle, sondern mein Gedanke ist folgender: Die Majuskeln sind gross und schwer. Schreibt Herr Ernst aber in Minuskeln, so ist das gleichsam eine tägliche Übung, klein und leicht zu werden. Könnte der Wechsel also helfen, das Gewicht zu reduzieren? Und damit komme ich gleich zur nächsten Frage:

Wie wäre es, wenn Herr Ernst auch auf Kommata, Frage- und Ausrufezeichen verzichtete? Der Verzicht auf Satzzeichen hat ja (wie schon Hans-Georg Gadamer bemerkt hat) zur Folge, dass man aus der Selbstverständlichkeit des Weiterlesens herausfällt, man ändert die Betonung und die Satzmelodie, kurz und gut: Man liest langsamer. Ich hege also die Hoffnung, dass Herr Ernst auf diese Weise ebenfalls aus der Selbstverständlichkeit des Weiteressens herausfallen und langsamer essen würde, ja, dass es ihn sogar verführen könnte, seinen eigenen Rhythmus zu finden und das notabene immer nach Herrn Ernsts eigenem Gusto – to Mr Ernst’s own taste.

Mit einem herzlichen Gruss

Ihr
B. Q. Blair[2]

Ernst ist Feuer und Flamme und möchte am liebsten gleich einen Versuch starten: klein und leicht und nach Ernsts eigenem Rhythmus! Aber die Mitternacht steht vor Ernsts Tür und Ernst verschiebt es bis morgen.


[1] Reimar Schefold, Spielzeuge für Ernsts Seele

[2] Email, Dezember 2017