18 Wie sich Ernst einen Toast macht und einem Frosch begegnet.

Wie Ernst Ernst bettet,
so liegt Ernst.

Ernst liegt um 8 Uhr noch immer auf Ernsts Futon und weiss, dass Ernst wieder zugenommen hat. Ernst hat Ernst nicht getäuscht. Ernst wiegt heute Morgen sogar noch mehr, als Ernst gedacht hat: 84,5 Kilogramm, gefühlte 87! Wenn Ernst Ernst die gestrigen Kalorien in Erinnerung ruft, ist Ernst dieser uptick unbegreiflich.

Um nicht weiter zu überborden, legt Ernst 1 Scheibe Toastbrot in den alten Jura-Chrome-Toaster. Dank des Klappmechanismus braucht Ernst den heissen Toast beim Wenden nicht einmal anzufassen. Ernst öffnet einfach die Flügeltüre und schon dreht sich die Toastscheibe von selbst um 180°. Ernst gefällt auch der im Retro-Look gestaltete Druckknopfschalter und die rote Kontrolllampe. Ernst sagt: «Benutzerfreundlichkeit wird mit nostalgischen Elementen kombiniert, ein Klassiker für Ernsts morgendliches Ritual und das – zum Glück – noch ohne die lästige Abschaltautomatik!» Nachdem Ernst den Toast eingelegt hat, geht Ernst auf den Balkon, schaut zum Fluss hinunter und atmet tief ein und aus, tief ein – der Toast! Ernst eilt in die Küche. Wie Ernst den verkohlten Toast sieht, knirscht Ernst mit Ernsts Zähnen und denkt zuerst an eine Zahnschiene und dann ans Himmelreich, an das die Fratres glauben. Und so kommt es, dass sich Ernsts Miene noch mehr verfinstert.

Niemand kan einen Himmel nach dem Tode glauben und vorausfühlen: sonst wär’ er in täglicher Entzükkung.[1]

Nach dem Abendessen: Wieder zu viel! Und das obwohl Ernst weiss, dass Ernst die übliche Menge nicht verträgt. Die übliche Menge? Was zum Teufel ist das? Das, was Ernst als junger Mann gegessen hat? 1 Refektorium-Portion mit 2 randvoll gefüllten Suppentellern? 1 Pasta-Teller moderately gefüllt? Sta di fatto: Ein ½ Teller hätte abbondantemente genügt. Um Ernst das einzuprägen, betont Ernst jede Silbe: ab-bon-dan-te-men-te. Mit dem letzten, lauthals intonierten men-te springt die Tür auf und Madame Surchauffeur und Signorina Cardiopalmo fragen: «Warum schreibt Ernst Ernsts Wellness Journal, wenn Ernst nichts daraus lernen will?»

Sich die Hände in Dinte waschen.[2]

Und damit hat Ernst heute schon zum zweiten Mal versagt. Ernst kommt Ernst wie ein Cake vor, der durch einen Strohhalm mit Zitronensaft getränkt wird. Wie Ernst Ernsts Not also tröpfchenweise bewusst wird, erinnert Ernst Ernst an Psalm 130, den die Fratres erst neulich im Sprechgesang intonierten.

De profundis clamavi ad te Domine.[3]

Ernst vergisst, was Ernst noch eben über das Himmelreich durch Ernsts Kopf gegangen ist, und ruft: «Wäre das eine Lösung – Gott anrufen?» Ernst öffnet die Schublade von Ernsts Küchentisch, wo Ernst Baudelaires Les fleurs du mal versteckt hat. Das Buch lag in der Bibliothek des Monasteriums und weil Ernst fand, dass es dort deplaciert sei, hat es Ernst mitgenommen. Nicht dass es Ernst hätte stehlen wollen! Da sei Gott vor!

J’implore ta pitié, Toi, l’unique que j’aime,
Du fond du gouffre obscur où mon cœur est tombé.[4]

Ernst erinnert Ernst, dass Baudelaire die Haitianerin Jeanne Duval verehrte. Sie war seine maîtresse des maîtresses und sie rauchte Havanas. Was für eine kühne, poetische Freiheit: Baudelaire, der nicht mehr den einzigen wahren Gott, sondern seine Vénus noire[5] anruft:

Toi, l’unique que j’aime !

Justgenauda hört Ernst, wie in der Paddington Station die Untergrundbahn einfährt. Ernst weiss, es bleiben Ernst genau 15 Sekunden, dann muss Ernst drin sein. Jeanne Duval ruft: «OMG, entrez, Ernst, entrez!» Ernst springt (wie Tristan einst) über den Mehlkreis und die Vénus noire tuschelt: «Cuidado Ernst, this is a Bakerloo Line Train!» Dann legt sie Ernst 1 lourdes-blaue Kerze in die Hand, deutet zur Massa vièlha und flüstert: «Ojalá, ven, mi hermano menor!» Ernst watet mit ihr durch das Wasser der Gave, wo sie auf Maria Bernada Sobeirons treffen, die Ernst 1 Frisco Pralinato Classico All Natural offeriert. Ernst ist muito emocionado und während Ernst noch am Eis schleckt, kommen sie zur VIP-Lounge, die sich im hinteren Teil der Grotte befindet. Jeanne lehnt sich an einen Stalaktiten und öffnet das Gebetbuch. Ernst guckt schräg von der Seite hinein und liest: Club des Haschischins – 6, Rue de la Femme sans Teste, Hôtel Pimodan, Paris. Dann tanzt sie den Tschatschatscha und singt voll fervor und pasión:

Bésame, bésame mucho,
como si fuera esta noche la última vez …
Bésame, bésame mucho,
que tengo miedo perderte, perderte después …[6]

Während Ernst den Songtext auf Deutsch mitsingt – Ernst singt:

Ernst will dich ganz nah bei Ernst
Ernst in deinen Augen sehn
Dich mit Ernst zusammen sehn
Denk mal, dass Ernst vielleicht morgen
Schon fern von dir
Sehr fern von dir ist!

– während Ernst Küsse Ernst, küss Ernst ganz feste als wärs heut Nacht das allerletzte Mal singt, offeriert Baudelaire seiner Geliebten eine Romeo y Julieta Cedros de Luxe et la maîtresse des maîtresses tire une grosse bouffée sur son cigare. Auch Maria Bernada greift nun in den Humidor aus Spanischem Zeder und zündet sich eine Montecristo Especiales an.

Der Duft der Havanas dringt bis zu Ernst hinüber und Ernst bläht Ernsts Nasenflügel, aber da ist es, als ob eine goldene Kugel ins Brunnenwasser fiele: plop! und der Frosch ruft: «Ernst, mache auf! Weiss Ernst denn nicht mehr, was Ernst mir gestern versprochen hat?» Da wird Ernst böse, nimmt den Frosch und wirft ihn mit voller Kraft gegen die Wand. «Nun sei endlich ruhig, du garstiger Frosch», ruft Ernst, und in dem Moment, wo der Frosch zu Boden fällt, sieht Ernst wieder Ernsts Teetasse vor Ernsts Augen. Der Tee ist noch heiss. Ernst ruft: «Ernst hat wohl theatroniert» und schlürft ein Schlückchen vom Anji Baicha. Dann wirft Ernst Ernst (vom Rauch der Havanas betäubt) auf Ernsts Futon und schläft sofort ein.


[1] Jean Paul, Ideen-Gewimmel, Texte aus dem Nachlass, 1411

[2] ebenda 345

[3] Aus der Tieffen / Ruffe ich HErr zu dir, Psalm 130, Lutherbibel

[4] Dein Erbarmen ruf ich an, du einzig Geliebte, aus der Tiefe des dunklen Abgrunds, in den mein Herz gestürzt ist. Welch eine trübe Welt mit bleiernem Horizont, wo im Düster das Grauen und die Lästerung schwimmen! Charles Baudelaire, De profundis clamavi, Sonett XXX, aus dem Französischen von F. Kemp

[5] Elle est belle et plus que belle ; elle est surprenante. En elle le noir abonde : et tout ce qu’elle inspire est nocturne et profond. Ses yeux sont deux antres où scintille vaguement le mystère, et son regard illumine comme l’éclair : c’est une explosion dans les ténèbres. Charles Beaudelaire, Le désir de peindre

[6] https://www.youtube.com/watch?v=uPmXji001Os. In einem Kommentar zu dem hier angegebenen Link heisst es zu Recht: «It’s not Elvis Presley, it is Dominic Halpin & The Suspects.» Das von der mexikanischen Komponistin Consuelo Velázquez komponierte Bésame mucho erklang erstmals 1941. Zu ihrem Text sagt sie in einem Interview: «Als ich das Lied mit neunzehn Jahren komponierte, hatte ich noch nie geküsst; es war alles ein Produkt meiner Fantasie.»