57 Ernst, der Abt & die Hummeln.

Ernst liest die einundvierzig Variationen über das Thema «Ernst macht Ernst»[1] und schämt Ernst. Das ist Larifari, Firlefanz und Humbug. Da bleibt nur noch die Deletetaste! Aber jetzt, da die Seite leer ist, überfällt Ernst 1 unheimlicher Cauchemar. Ernst setzt den Text also wieder ein und färbt ihn schwarz und um das Ganze etwas Poetischer zu machen, setzt Ernst die 7 Blöcke in die Mitte.

Nach dieser Korrektur isst Ernst als Belohnung? 1 Feige und 2, 3 Scheibchen Bündnerfleisch. Holla! Merkt Ernst überhaupt, wie das Bündnerfleisch schmeckt? oder steckt es Ernst Ernst einfach in Ernsts Mund, ohne wahrzunehmen, was Ernst isst? schlimmer noch: ohne zu merken, dass Ernst isst! Und wieder denkt Ernst an eine Gehirnwäsche oder (weil schonender) an 1 chemische Reinigung. Aber was soll denn da herausgewaschen oder gecleant werden? Ernsts Hirn ist weder beim normalen noch beim abnormalen Essen involviert. Da hilft das beste Klarspülmittel nichts. Und doch: Ernsts Gehirn kann überlegen. Und wie! Denn schon überlegt Ernst, im Clostershop ein Eis zu kaufen: 1 White Chocolate and Nuts? oder 1 Vanity aus der Serie Seven Deadly Sins? oder 1 Magnum Silver 25 mit dem magnesiumgrauen Schokoüberzug, Celebrating 25 Years of Pleasure? Doch Ernst bleibt vacuum sealed und ruft: «Das sind die katastrophischen Machenschaften von Ernsts Fressgeist!»

Vorsicht. Woher weiss Ernst, dass Ernsts Fressgeist männlich ist? Nur weil es der Geist heisst? Wie aber, wenn er 1 Trollweib wäre? 1 grüne Fee oder 1 fiese femme fatale? Fiordimona zum Beispiel oder Conchita Perez, die Markgräfin Mathilde, Framke Janssen alias Xenia Sergeyevna Onatopp? oder Uma Thurman, die raue Else oder Biondetta? Françoise-Athénaïs de Rochechouart de Mortemart alias Madame Marquise de Montespan? Rebecca Alie Romijn oder Pussy Galore? Aisha al Fadhil, die kreuzworträtselberühmte Sophonisbe, Kitty Collins, Bridget Gregory alias Wendy Kroy? Rose Loomis oder la Bonbonière superfulminante: Anna Livia Pluhurabelle alias Annah the Allmaziful? Fräulein Kunigunde von Thurneck, Diàochán, die Gräfin Romana, Phyllis Dietrichson, Ajedrez Barillo, Lively Lovely Lola Montez, Ciliegia Grande alias Kirschie Real? Lucile Vasconcellos Langhanke alias Mary Astor alias Brigid O’Shaughnessy alias Ruth Wonderly? Rebecca Romijn-Stamos, Bele Wydecynthe oder Annushka Lutetiavitch Pufflovah?

Justgenauda klopft es an Ernsts Tür. Es ist der Abt. Ernst befürchtet, dass es um etwas Ernstes geht und fühlt Ernst wie bei einem eingeschriebenen Brief, mit dem man Ernst an eine unbezahlte Rechnung erinnert, aber der Abt ruft: «Keine Sorge, mein Guter!» Und dann sagt er, dass er Lust auf einen Tee habe und nirgends so guten Tee wie bei Ernst trinken könne. Ernst wird also wieder munter und erzählt dem Abt von den femmes fatales, die Ernst enthusiasmierten und so kommt es, dass sie mit einem alten Sijichun vom Teegarten Doi Mae Salong auf Ernsts Balkon sitzen und in stiller Andacht der Frauen gedenken. Wie Ernst Tee nachschenkt, bemerkt Ernst eine Hummel. Auch der Abt wird von der Hummel fasziniert und sagt:

Die Ruhe im Garten ist wegen der Hummeln relativ laut.[2]

In Ernst steigt ein wohltuendes Dolcefarniente auf, so dass Ernst allegramente auf Wolke 7 schwebt. Nur 1 macht Ernst stutzig: «Woher kommen die Hummeln? Gibt es Winterhummeln?» Da sagt der Abt: «Es gibt Tiere, die richten sich nicht nur nach den Jahreszeiten, sondern auch nach unserem Herzen.» Und nach einer Pause:

Auch der Mond kann mit Zauberliedern vom Himmel heruntergezogen werden.[3]

Dann steht er auf und sagt im Gehen, dass er neulich auf ein Buch gestossen sei, bei dem er an Ernst gedacht habe. Ernst schlägt den Band aufs Geratewohl auf:

Glaubt nur! Gehöfelt ward da stark & getrunken derbe. Zwey Curiosa notirt’ ich mir bey dem Gelag: Fürs Erst, dass keine Fleischspeis kam, es mocht seyn was für Sort es wollt, ob Reh, ob Kapphähn, ob Schwein, ob Tauben, ob Kaninchen, junge Hasen, Truthähn aus Indien oder andere, die nicht bretsdick mit magistralischer Farss durchnudelt gewesen wär. Fürs Zweyt: dass alle Tisch & Nachtisch ausschliesslich von Frauenzimmern im heiratsfähigen Alter aufgetragen wurden. Allesamt adrette, holde, reizend=herzige Hühnlein & Blondinlein, das schwör’ ich Euch, im schönsten Flor, welche, in bodenlange weisse, lose zwiefach gegürtelte Alben gekleidet, mit blosem Haupt, das Haar mit violettnen Seiden=Schnüren & Bändlein durchflochten, Rosen, Nelken, Orangenblüth, Mayran, Anies & viele andre würzige Blumen dazwischen gesprenkelt, bey jeder Cadenz uns mit gelehrten & artigen Verneigungen zum Trinken luden, zu unser Aller Augen=Lust.[4]

Ernst liest die Stelle ein zweites und ein drittes Mal und fühlt Ernst winterlich wohl. Dann entschliesst Ernst Ernst, Ernst etwas Gesundes zu gönnen. Ernst macht Ernst 1 Salat mit Frühlingszwiebeln, Ruccola, Cicorino rosso, Peterliwurz, Radieschen (alles fein geschnippelt) und Weintraubenessig, Leinöl, Orangensenf, Salz, grünem Pfeffer und Koriander. Ernst reibt Ernst Ernsts Hände und ruft con sentimento: «Wenn Ernst so weitermacht, könnte aus Ernst noch jemand werden.»


[1] Episode 56

[2] Yoko Tawada, Abenteuer der Deutschen Grammatik

[3] Carmina vel coelo possunt deducere lunam, Vergil, Bucolica, Ecl. VIII, Übersetzung Ernst

[4] Croyez que la repaisaille feut copieuse, & les beuvettes numereuses. En cestuy dypner ie notay deux choses memorables: l’une que viande ne feut apportée, quelle que feust, feussent chevreaulx, feussent chappons, feussent cochons, feussent pigeons, connilz, levraulx, cocqs de Inde, ou aultres, en laquelle n’y eust abondance de farce magistrale; l’aultre, que tout le sert & dessert feut porté par les filles pucelles mariables du lieu, belles, ie vous assie, saffrettes, blondelettes, doulcettes & de bonne grâce. François Rabelais, Pantagruel, Wie die siegreichen Gargantuisten nach der Schlacht belohnet wurden, IV/LI, aus dem Französischen verdeutscht und herausgegeben von Gottlob Regis