42 Wie Ernst ein zweites Mal zum Haus des Dentisten geht.

Ernst macht Ernst einen Grüntee und setzt Ernst mit einer Email von Brian de Selby an Ernsts Küchentisch.

Guten Abend Ernst

Es freut mich, dass Sie sich an mich erinnert haben. Wie ich schon in meiner ersten Email gesagt habe, tut es mir leid, dass Ernst keine Fortschritte macht, gleichzeitig bin ich aber auch froh, denn nur so bleibt uns Ernsts Wellness Journal erhalten. Nun aber zur Sache. Ich habe mir das Video vom Zahnarztbesuch mehrere Male angeschaut und frage mich:

  1. Wie ist Ernst an diesen Ort gekommen? Ernst geht zum Fluss, sieht das Schild DENTIST, zweigt nach links ab und steht plötzlich? einfach so? im Haus des Dentisten?
  2. Sofern das eine Zahnarztpraxis sein sollte, was befindet sich in den anderen Räumen? Gibt es ein oberes Stockwerk?
  3. Wie hat Ernst wieder hinausgefunden?
  4. Ist Ernst noch einmal hingegangen? Ich meine, wenn das Ganze nur eine Vision gewesen sein sollte, wie ist es da möglich, dass es Ernst filmen konnte? Ist das Video ein Beweis, dass es Wirklichkeit war? und noch immer Wirklichkeit ist?

Da es unterdessen kalt geworden ist und die Flüsse zugefroren sind, schicke ich Ernst meine Grüsse mit dem pfeilschnellen Schlittschuhboten von Hieronymus Bosch.

 

 

Brian de Selby

 

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Werter Brian de Selby

Wie gerne möchte Ernst Ihre Fragen beantworten! Aber das Ganze bleibt auch für Ernst ein curioses Rätsel, denn Ernst weiss mit dem besten Willen nicht, wie Ernst in das Haus des Dentisten gekommen ist. Es war wie in einem Traum: Ernst stand plötzlich oben an dieser Treppe und als die Musik explodierte, zog es Ernst nach unten – ein unheimlicher Sog – und Ernst hatte keine Zeit, Ernst umzuschauen.

Aber da ist ihre letzte Frage, nämlich ob Ernst noch einmal hingegangen sei. Ernst wollte es geheim halten, aber jetzt muss es Ernst bekennen: Ja, Ernst nahm den Weg noch einmal unter Ernsts Füsse und schlenderte zum Fluss hinunter. Das Schild DENTIST war weg, die Spuren im feuchten Gras jedoch waren noch immer sichtbar. Nach etwa 5 Minuten kommt Ernst auf einen Fussweg, der auf eine bewaldete Hochebene führt, wo Ernst eine gute Stunde weitergeht, ohne ein Zeichen der Zivilisation zu sehen. Doch dann sieht Ernst hinter mannshohen Brombeerstauden plötzlich ein Haus. Die Vorderseite ist nicht zugänglich. Auf der Rückseite jedoch kann Ernst Ernst durch die Stauden hindurchzwängen und Ernst in einem schmalen Couloir voll dürrer Äste mühsam vorwärtsbewegen.

 

 

Mit 2, 3 verhuschten & ernsten Grüssen
Ernst

 

Jetzt, da Ernst die Emails noch einmal durchliest, ist Ernst nicht mehr wohl, denn Ernst realisiert, dass Ernst Ernst jenen Gefahren aussetzt, die alle Eremiten kennen: Eigensinn, Wahnsinn und Schwachsinn.

Sie sind es, die schon manchen Bürger zur Einsiedeley lockten und trieben; und wie ihre eitele Selbstgenügsamkeit und ihr Stolz in armseligen Höhlen und öden Klüften mehr Nahrung fand als in aller Pracht der Städte.[1]

Das Bedenkliche ist, dass es nicht mehr um den sweet tooth geht, sondern um die viel brisantere Frage, ob Ernst noch bei Trost ist. Schliesslich ist es ja nicht das erste Mal, dass Ernst von Wahnvorstellungen heimgesucht wird. Im Fall von Doña Adicción könnte Ernst Ernst noch damit herausreden, dass es sich bei ihr um ein Nachtschattengewächs handelt, das zu Halluzinationen führen kann.[2] Aber wie war es damals, als Ernst zum Kühlschrank rannte und das Müesli verschwunden war?[3] oder als Ernst die Macarons fins mit den Lilien verwechselte?[4] War das Wunschdenken oder der Beginn einer Bewusstseinstrübung? Und jetzt? Sollte sich das Haus als eine wüste Illusion erweisen – Ernst wagt gar nicht daran zu denken.

Oder trinkt Ernst zu viel Grüntee? Liegt es am Taiping Hou Kui? dem Affenkönigtee? So wie der alte Mann die Stimme des toten Affen hört, so hört Ernst im Souterrain diesen schaurigen Gesang und sieht, wie sich die Waschtrommel des Dentisten dreht? Ernst überlegt, ob vielleicht ein Gespräch mit dem Abt? Aber Ernst schämt Ernst und beschliesst, Gras darüber wachsen zu lassen.


[1] Johann G. Zimmermann, Königlich Grossbritannischer Hofrath und Leibarzt in Hannover, Über die Einsamkeit

[2] Episode 39, Anm. 4

[3] Episode 4

[4] Episode 37