30 Wie Ernst das neue Jahr beginnt.

Ernst steht früh auf und widmet Ernst sofort Ernsts Briefcase, den Ernst im neuen Jahr noch nicht geleert hat.

 

Lieber Ernst

Im letzten Sommer haben uns Freunde das Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shonagon geschenkt. Kennt es Ernst auch? Im Vorwort von Mamoru Watanabé heisst es:

Nach der damaligen Wahrsagerei gab es eine unheilbringende Sternrichtung, die nach dem Mondkalender Tag für Tag ihren Sitz wechselte. Jeder, der an einem bestimmten Tag unter diesen Stern kommt, muss diesen Tag zu Hause bleiben, darf keine Besuche empfangen und muss alle Briefe, die an diesem Tag ankommen, zurückschicken. Er muss sich mit spärlicher Kost begnügen. Dieser Tag heisst Monoimi: der Fastentag. Im Kapitel Enttäuschungen sagt Sei Shonagon dazu: «Man gab mir zur Antwort, heute falle auf den Betreffenden der Fastentag, und man wolle das Schreiben nicht in Empfang nehmen. So etwas ist ärgerlich.»

Wäre das auch etwas für Ernst? Wenn Ernst unter den unheilbringenden Stern kommt, schaltet er einfach einen Monoimi ein? Wir wünschen dem liebenswerten Ernst entspannte Festtage.

 

 

Schneeweiss & Rosenrot

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Guten Abend Ernst

Nach dem Erlebnis in der Eibe ist Ernst überzeugt, dass das die lang erhoffte Wende bedeutet und Ernsts Essreform endlich wieder in Schwung gebracht werden kann. Ernst beschwört damit das Wort Krise herauf, das ja ursprünglich den alles entscheidenden Wendepunkt bedeutete. Um ehrlich zu sein: Das hat mich enttäuscht, das habe ich von Ernst nicht erwartet. Es klingt, als ob Ernst ein Spiessbürger geworden ist, der zum Jahreswechsel einen guten Vorsatz fasst, um schon im Januar auf dem neu gepflasterten Weg direkt in die Hölle zu fahren.[1] Das einzig Gute an der Sache ist, dass Ernst mir so die Gewissheit gibt, noch lange in den Genuss von Ernsts Wellness Journal zu kommen. Möge der Teufel Ernst auch im neuen Jahr beistehen! Und so schicke ich Ernst mit dem Boten von Hieronymus Bosch 1 Trichter, 1 Nuss und 1 herzhaften Gruss.

 

 

Brian de Selby

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Sehr geehrter Herr Ernst

Ernst hört helle Glocken hämmern,
es klingt im Ohre Ernst, din din.

Sie können sich kaum vorstellen, wie gespannt wir jeweils auf eine neue Epsiode warten. Genauer: Wir warten und hoffen, dass Ernst bald wieder einschnappt. Wie bitte? Ja, richtig: einschnappt! Sie kennen doch Rossinis Opern: Plötzlich wissen die Leute nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht: addio cervello! Es wird ihnen schwindelig: sogno? deliro? Und justgenauda kippt Rossinis Musik um, sie wird hypnotisch und rast wie von Sinnen vor sich hin. So geht es uns mit Ernst. Plötzlich macht es tac: Ernsts Bewusstsein wird ausgeschaltet und die Welt beginnt um den confusen Ernst zu kreisen: Ernst zählt Schäfchen bis zu den Millinillinillionen, Ernst tanzt mit Maria Bernada, Jeanne und Charles einen Tschatschatscha, Ernst singt mit dem sinkenden Gefühl von den Aprikosen, Ernst isst haufenweise Rosinen oder spaziert mit crèmefarbener Badekappe im brusthohen Wasser des Zürichsees – das sind Miniaturen, an denen wir uns berauschen und wir hoffen, dass uns Ernst auch im neuen Jahr auf Trab halten wird.

Cordialmente
Mustafà, Elvira & Isabella

> G. Rossini, L’italiana in Algeri, Atto I, Finale, Nella testa ho un campanello, che suonando fa dindin, https://www.youtube.com/watch?v=W0_bgStnHc0 (ab 6:24)
> G. Rossini, La Cenerentola, Atto II, Questo è un nodo avviluppato, https://www.youtube.com/watch?v=NB14yuKef1s

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halo ernst!

ich lese deinen journal schon seit der ersten episode, wo die raketen in den himmel rockten. natürlich verstehe ich nicht immer alles, aber eins ist mir klar: wenn jemand der grosse versager ist, dann bist es du und desshalb lieb ich dich. und was dein stil angeht, also zuerst dachte ich, das ist schon krass, aber jetzt gehts mir so wie wenn jemand schielt. man siehts nicht mehr und wenns weg wär würde es einem sogar noch fehlen. auch deine filmchen, vor allem der mit der verkohlten toastscheibe ist mega. hoffentlich kommen noch weitere.

der grund aber weshalb ich dir schreibe ist folgender: ich leide schon seit längerer zeit darunter, dass ich ständig nachts aufwache (immer zwischen 1 und 3) und mich am kühlschrank vergreife. dabei nehme ich mir dauernd vor, das zu lassen, aber ich kann mich im halbschlaf irgendwie einfach nicht kontrollieren. wenn ich dann aufwache, habe ich einfach so einen drebst hunger, besonders nach schoki. ja, und dann ist der teufelskreislauf eröffnet, das ist dann so ein drang danach, dass ich es nicht unterbinden kann. wenn ich alleine wohnen würde, wärs auch nich so problematisch, dann würd ich einfach nur einkaufen, was ich für 1-2 mahlzeiten brauche. aber ich wohne mit meinem (ex-?) freund zusammen und der will immer einen vollen kühlschrank und hat kein verstäntnis, dass mir das kalorienmässig tierisch probleme macht. vorhin habe ich in einer zeitung gelesen, dass es ein sog. nachtesser-syndrom gibt. kennst du dich damit aus? bzw. woher weiss man, ob man das hat, und wenn, wie man das wieder wegbekommt? tschüssundgruss!

me_at_night

ps: ich find es übrigens echt uncool, dass du die kleinschreibung wieder aufgegeben. sie ist leicht und schlank und erspart den augen auch das ewige auf und ab und das lässt sich schon auch auf das gewicht übertragen. obwohl ich mir dich seltsamer weise nicht dick vorstellen kann.

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Lieber Ernst

Ihr Wellness Journal schlägt bei mir immer wieder hohe Wellen und so schicke ich Ihnen zum Dank eine Nusstorte aus Davos. Die reichhaltige Füllung aus Baumnüssen, goldgelb gebacken in einem Buttermürbeteig – Herz, was willst Du mehr? Die Nusstorte ist mind. haltbar bis zum 21. Februar 2018, aber ich nehme an, dass dieses Datum für Sie nicht relevant ist – oder täusche ich mich da?

Einen guten Appetit wünscht Ihnen
La Abeja S.

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Lieber Herr Ernst,

dieses Jahr soll nicht ohne einen Gruss an Sie zuendegehen. Als ich von Ihren Streifzügen und Ihren Funden las, versuchte ich mir zugleich Ihre Reaktion angesichts des einen oder anderen Fundes auszumalen. Aus dem möglichen breiten Spektrum blieb ich dann beim hocherfreuten Entdecken – auch, weil es mich an eine Szene in einem um 20 v. Chr. gemalten Landschaftsbild erinnert. Damit Sie also überprüfen können, ob meine Vorstellung richtig ist, füge ich hier den betreffenden Ausschnitt an.

 

 

Ich wünsche Ihnen nun einige schöne Tage und für das kommende Jahr alles erdenklich Gute. Mit ganz herzlichen Grüssen,

Ihr
Prof. V. Imperiale

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Ernst klatscht in Ernsts Hände. Gibt es schönere Grüsse zum neuen Jahr? Um das gebührend zu feiern, macht Ernst Ernst einen Assam (Halmari Golden Tips aus dem indischen Teegarten Duflating) und betrachtet die Verpackung der Bündner Nusstorte, die mit der Kirche von Davos von Ludwig Kirchner verziert ist. Und das Verfallsdatum? Ernst stellt Ernst vor, wie die Torte austrocknet. Ernst sagt: «Die Torte dehydriert, Stunde um Stunde, Tag für Tag.» Sofern Ernst also das Genussmaximum herausholen will, gibt es nur 1: Essen, solange sie noch frisch ist. Justgenauda klopft es an Ernsts Tür.

Wenn, in Ernsts Jünglingsjahren, es an Ernsts Tür klopfte, wurde Ernst vergnügt: denn Ernst dachte, nun käme es. Aber in späteren Jahren hatte Ernsts Empfindung, bei demselben Anlass, vielmehr etwas dem Schrecken Verwandtes: Ernst dachte: «Da kommt’s.»[2]

Ernst geht zur Tür und ruft barsch: «Hallo? Ist da wer?» Entwarnung. Es ist Madame Debienne! Und wieder klatscht Ernst in Ernsts Hände und zeigt auf die Emails, die auf Ernsts Küchentisch liegen. Auch Madame Debienne freut sich und liest jede aufmerksam durch. Bei der letzten jedoch verweilt sie länger und fragt: «Was ist auf diesem Fresco dargestellt?» Jetzt schaut auch Ernst genauer hin und sagt leichthin: «Ernst hat bis jetzt vor allem den grossen Fleck gesehen und gedacht, das sei ein Sinnbild für das neue Jahr, das ja auch noch leer ist.» Madame Debienne ignoriert Ernsts Nonchalace und sagt: «Auf dem Sockel steht Pan mit seiner Flöte und die braunrote Figur ist vielleicht ein Faun?» Und wie Ernst Ernst für die liegende Frau im Vordergrund interessiert, meint Madame Debienne: «Das ist Doña Adicción, die Ernst (wenn Ernst so weitermacht) wie eine Mänade in Stücke reissen wird.»

Ernst muss aufpassen, dass Ernst nicht Ernsts Contenace verliert. Aber da ruft Madame Debienne: «Ich hab’s! Der Professor hat seine Email mit einem Pseudonym unterschrieben. Das V steht für Villa und Imperiale ist der Name dieser Villa, die sich bekanntlich in Pompeji befindet. Dort ist das Landschaftsbild.» Ernst ruft: «Lang lebe Sherlocka Holmes, Königin der Privatdetektive!» Dann offeriert ihr Ernst 1 Stückchen der Davoser Nusstorte, das Madame Debienne mit einem charmanten Seufzer entgegennimmt. Sie ist fein. Madame Debienne lacht und macht sich wieder auf den Weg, verspricht aber zum Nachtessen zurück zu sein.

Wieder allein, beschliesst Ernst, Madame Debienne mit einem römischen Essen zu überraschen. Ernst entscheidet Ernst für eine Sala cattabia Apiciana mit Selleriesamen, getrocknetem Flohkraut und getrockneter Minze, die Ernst mit Ingwer, frischem Koriander, entkernten Rosinen, Honig, Essig, Öl und Wein mischt. Dazu kommt picentinisches Brot, das in einer Auflaufform schichtweise mit Hühnerfleisch, Ziegenbrieschen, vestinischem Käse, Pinienkernen, Gurken und feingehackten Zwiebeln belegt wird. Ernst wird die Sala cattabia im Schnee kühlen und mit einem Perrier-Jouët Blason Rosé servieren.[3]

Ernst sieht, wie Madame Debienne strahlt und Ernst ist Ernst sicher, dass auch der Professor seine Freude daran hätte. Dann holt Ernst den Mörser hervor und macht Ernst frohgemut an die Arbeit.


[1] Und damit hat Brian de Selby wohl nicht Unrecht. Denn der Ausflug zur Eibe fand ja noch vor Weihnachten statt: zu früh, um Ernsts Vorsatz in die Tat umzusetzen. Dann folgten Sylvester und der 6. Januar, wo Ernst mit den Königen von Saba, Seba und Tarschisch den traditionellen Dreikönigskuchen ass und die goldene Schachtel mit den Läckerly von Bumann öffnete. Und jetzt soll das Ruder einfach so, Knall auf Fall, herumgeworfen werden?

[2] Arthur Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, 6. Capitel: Vom Unterschied der Lebensalter

[3] Adicies in mortario apii semen, puleium aridum, mentam aridam, gigiber, coriandrum viridem, uvam passam enucleatam, mel, acetum, oleum et vinum. Conteres. Adicies in caccabulo panis Picentini frustra; interpones pulpas pulli, glandulas haedinas, caseum Vestinum, nucleos pineos, cucumeres, cepas aridas minute concisas. Ius supra perfundes. Insuper nivem sub ora asparges et inferes. Marcus Gavius Apicius, De re coquinaria, IV/1,1. Vom Kochbuch des Apicius existieren heute nur noch zwei karolingische Handschriften aus dem 9. Jh., von denen sich eine in der Bibliothek des Monasteriums befindet. Was das picentinische Brot (panis Picentini) anbetrifft, hat Ernst verschiedene Versuche gemacht und ist zum Schluss gekommen, dass sich Walliser Roggenbrot oder westfälischer Pumpernickel am besten eignen. Sie sind kompakt und der säuerliche Geschmack passt vorzüglich. Den vestinischen Käse (caseum Vestinum) ersetzt Ernst durch Pecorino romano und anstatt Ziegenbrieschen (glandulas haedinas) nimmt Ernst Kalbsbries. Beim Wein (vinum) folgt Ernst der Empfehlung von Elisabeth Alföldi-Rosenbaum und verwendet einen Vino di Marsala. Das Flohkraut (puleium aridum) schmeckt süsslich und leicht harzig, es hilft bei der Verdauung und ist in jeder Drogerie erhältlich.