17 Wie Ernsts Gedanken zur 7th Duchess of Bedford schweifen und er eine E-Mail findet.

Ernst hat den Mut, nicht nur von Ernst zu sprechen,
sondern von nichts anderem als von Ernst zu sprechen.[1]

Ernst wiegt 83,6 Kilogramm und das heisst nichts anderes, als dass Ernsts Bauch wieder einmal gegen das harte Regime rebelliert. Aber warum spricht Ernst von Ernsts Bauch, als ob dieser nicht zu Ernst gehörte? Ernsts Bauch – das ist auch Ernst! Um das zu bekräftigen, verlustiert Ernst 1 Schnippelchen Camembert de Normandie und 2, 3 Scheibchen Viande séchée du Valais (aus den edlen Stücken von Rindsstotzen). Dann geht Ernst zu den Fratres. Zur Vorspeise gibt es Ofetüri, dann folgt der famose Gänsebraten mit Quittengelée. Ernst vergisst, dass Ernst Camembert und Trockenfleisch gegessen hat und langt tüchtig zu.

Die letzten
Nicht aufgefressnen Gänse
Schreien im Frühlingsregen[2]

Zum Dessert wird Pflaumenmus (aus dem Backofen) serviert. Obwohl Madame Debienne Ernst mehr als 1x gewarnt hat, kann es Ernst nicht lassen, 1 Mü Rahm und 1 Löffelchen Zimt und Zucker hinzuzufügen und Ernst 1 Kambly-Bisqui zu genehmigen. Ernst bereut es und sagt: «Mettiamoci una pietra sopra!»

Am Nachmittag denkt Ernst an Lady Anna Maria Stanhope, 7th Duchess of Bedford, die als Hofdame der Königin Victoria das schöne Ritual des Afternoon Tea eingeführt haben soll.

The usual habit of serving dinner between 8 and 9 pm left the Duchess hungry and with a sinking feeling by late afternoon. To stave off the hunger, she would order tea, bread and butter and cakes to be served in her room.[3]

Was für eine vornehme Ausdrucksweise: A sinking feeling by late afternoon. Und schon erscheinen vor Ernsts Augen Yorkshire fat rascal scones mit clotted cream and raspberry jam. Doch Ernst reisst Ernst zusammen und isst nur ein paar Scheibchen von der feinen Toskanischen Fenchelsalami Finocchiona und 1 Handvoll grüne Oliven. Ach ja, und dann noch etwas Derbyshire Stilton (with its delicate blue veins radiating from the centre) und 2 Scheiben Toastbrot und alla fin fine 5 Schokominiperlen (die Ernst Madame Debienne schenken wollte). Wie das alles nur in Ernsts Kastanienklause und von dort in den Mund des Kastanienklausers gekommen ist?

Das hat Ernst gethan, sagt Ernsts Gedächtnis. Das kann Ernst doch nicht alles gethan haben, sagt Ernsts Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – giebt Ernsts Gedächtniss nach.[4]

Ernst entschliesst Ernst, Ernst noch etwas Ernsts Füsse zu vertreten und geht in dem für Ernst so typischen Schlenderschritt zum Fluss hinunter. Dann zweigt Ernst ab und kommt auf ein offenes Feld, auf dem Ernst ziellos herumschlendert. Ernst sagt: «Ernst ambuliert.»

Wenn es rechts nicht schön ist, geht Ernst nach links; wenn Ernst Ernst nicht in der Lage sieht, Ernsts Pferd zu besteigen, hält Ernst an. Hat Ernst vergessen, etwas anzuschauen? Ernst kehrt um; so findet Ernst immer Ernsts Weg. Ernst plant keine Linie im Voraus, weder die gerade noch die krumme.[5]

So kommt es, dass Ernst auf 2 Kobolde trifft. Im fahlen Schein von Pilzkerzen trinken sie Yun Wu Superior und neben den Tässchen liegt für jeden ein Aperitifgebäck bereit, rhombenförmig und verziert mit 1 Mandel.

 

 

Wie Ernst näher hingeht, sieht Ernst, dass beim Kobold, der auf dem linken Schemel sitzt, 1 E-Mail im Gurt steckt.

Lieber Ernst

Mit Spannung lese ich jeweils Ernsts Berichte. Ernsts Gedankengänge sind nicht leicht zu verstehen. Sie zwingen einen, den Text mehrere Male zu lesen. Ich habe sogar die Fussnoten entziffert und habe dabei erstaunlich viel gelernt. Und ich hab gegoogelt. Zum Beispiel von dieser verträumten griechischen Insel Amorgos wusste ich nichts. Ernst ist recht verschleckt und wählt nur die besten Häppchen. Nun ja, Gewichtsprobleme haben wir fast alle. Deshalb meine Frage: Hat Ernst auch Freunde, die Ernst Ernsts «Sorgen» ein wenig vergessen lassen? Diese und noch viele andere Überlegungen gehen durch meinen Kopf.

Mit lieben Grüssen
Ernestine[6]

Ernst setzt Ernst neben die beiden Kobolde und denkt nach. Natürlich hat Ernst Freunde, aber Ernst kann mit ihren Ratschlägen nicht viel anfangen. Das ist ja auch der Grund, warum Ernst Ernst zurückgezogen hat. Ernst folgt dabei Ernsts Vorbild Michel de Montaigne, der sich 1571 auf sein Schloss zurückzog, um fern von jeder anderen Betätigung sich selbst zu hegen und zu pflegen und in sich zur Ruhe zu kommen.[7] Ernst weiss, dass das ein steiniger Weg ist, aber Ernst ist fest entschlossen, diesen Kurs weiter zu halten, nach dem Motto:

Ernst hat keine Lust, Ernst halb zu bessern, entweder alles recht oder alles schlecht.[8]

Ernst steckt die E-Mail also wieder in den Gürtel des Kobolds und schlendert ½ nachdenklich und ½ vergnügt zurück zu Ernsts Kastanienklause.


[1] J’ose non seulement parler de moy, mais parler seulement de moy. Michel de Montaigne, Essais, III/8, De l’art de conférer – Über die Kunst des Gesprächs, übers. von Arthur Franz

[2] Kobayashu Yataro alias Issa

[3] https://www.thespruce.com/brief-history-of-afternoon-tea-in-britain-435455

[4] Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 68

[5] S’il faict laid à droicte, je prens à gauche ; si je me trouve mal propre à monter à cheval, je m’arreste. […] Ay-je laissé quelque chose à voir derriere moy ? J’y retourne ; c’est tousjours mon chemin. Je ne trace aucune ligne certaine, ny droicte ny courbe. Michel de Montaigne, Essais, III/9, De la vanité – Über die Eitelkeit, übers. von Arthur Franz

[6] Ernestine, E-Mail, November 2017

[7] s. Episode 9

[8] Quand à moy, j’ay cette autre pire coustume, que si j’ay un escarpin de travers, je laisse encores de travers et ma chemise et ma cappe : je desdaigne de m’amender à demy […] ou tout bien ou tout mal. – Was mich anbetrifft, so habe ich noch eine schlimmere Angewohnheit: wenn mir ein Schuh schief sitzt, so lasse ich auch mein Hemd und meinen Mantel in Unordnung; ich habe keine Lust mich halb zu bessern […] entweder alles recht oder alles schlecht. Michel de Montaigne, Essais, De la vanité, III/9 – Über die Eitelkeit, übers. von Arthur Franz